von Fabian Stein
Familie
Die Lebensweise der Familien nach Ende des Zweiten Weltkrieges würde man heute als vorindustriell bezeichnen[1]. Wie in einer Großfamilie lebte man eng beieinander[2], zum Teil auch mit zugewiesenen Fremden[3] oder Zuflucht suchenden Verwandten[4]. Unter den aufgenommen Verwandten spielten die Großväter eine besondere Rolle für die Kinder, indem sie die Väter ersetzten[5].
Einen spezifischen, von der Erwachsenenwelt abgeschirmten Raum für die Kinder gab es nicht, sowohl im übertragenden als im wörtlichen Sinne[6]. Darüber hinaus verlief der Alltag von Eltern und Kindern weitgehend getrennt, worüber beide Seiten durchaus froh waren[7]. Nur die Schule verblieb als besondere Situation für die Kinder[8].
Man stellte selbst Güter her, die man entweder tauschen, auf dem Schwarzmarkt oder an die Alliierten verkaufen konnte[9]. Letztere bereiteten dabei den Eltern (meist im Gegensatz zu den Kindern) große Angst[10] und sie warnten sie beständig davor, Fremd-Soldaten anzusprechen oder gar etwas von ihnen anzunehmen[11].
Mütter
Mütter der Nachkriegszeit lebten vor allem für ihre Kinder. Nur ihrer Kinder zuliebe aktivierten sie immer wieder ihren Überlebenswillen und ihr Durchhaltevermögen[12]. Sie gaben alles zur Versorgung ihrer Kinder mit Nahrung und Kleidung[13].
So entschieden sich die meisten Mütter für Schwerstarbeit, für die man große Rationen zugewiesen bekam[14]. Demgemäß waren viele dann Kranken- und Baggerführer, Uhrmacher, Optiker und Matrosen. Als Trümmerfrauen erhielten sie die meisten Rationen[15]. Da Hausfrauen die geringsten Rationen erhielten, waren jene mit Kindern zur Erwerbsarbeit gezwungen[16].
Doch laut einer Sozialstudie über das derzeitige Familienwesen dieser Zeit klagten 200 Müttern 103 über ständige Übermüdung[17]. Sie suchten seelischen Halt bei ihren Kindern, was sich bis zur Parentifizierung steigern konnte, so dass die Kinder mit den Müttern über deren Alltagssorgen sprechen und diese trösten mussten[18]. Dennoch herrschte immer noch die natürlich-vertrauensvolle Beziehung Mutter-Kind[19]. Auf die Hilfe ihrer Kinder waren besonders Mütter ohne Verwandte angewiesen[20].
Die Integrität der Familien wurde durch die Mütter mit den Erinnerungen an die Väter gewahrt[21]. Über diese Funktion galten sie nicht als bemitleidenswerte alleinerziehende und arbeitende Mütter (damals total unnormal), sondern wurden ähnlich wie Trümmerfrauen geachtet[22].
Väter
Im Zweiten Weltkrieg wurden die Familien oft auseinander gerissen, als die Väter immer länger im Kriegsdienst waren, bis sie irgendwann – tot oder kriegsgefangen – ganz aus dem Familienleben verschwanden[23]. Somit schieden sie als oberste Entscheidungs- und Erziehungsinstanz aus[24] und die 40er Generation wuchs größtenteils vaterlos auf[25].
Während die Väter abwesend waren, wurden diese daheim von den Müttern idealisiert[26] und trugen so ihren Teil zur Erhaltung eines traditionellen Familienlebens bei[27]. Überdies verhalfen die Väter so indirekt den Söhnen zu einer hervorgehobenen Rolle in der Familie, sodass diese vorzeitig zu Oberhäuptern werden konnten[28]. Dennoch blieben die Väter außerhalb des Persönlichkeitskreises, der den Kindern vertraut war[29].
Als die Väter schließlich zurückkehrten, verschärften sich die bisherigen Probleme eher, als dass sie gelindert wurden[30]. Erstens konnten sie die neue Selbständigkeit ihrer Frauen nicht ertragen[31] und warfen ihnen gegebenenfalls Untreue vor[32]. Zweitens versuchten sie wieder als Patriarchen ihre Kinder zu erziehen[33] und übersahen dabei völlig, dass Mütter und Kinder als Team zusammen gewachsen waren[34] und sich die Kinder gegenüber den Erwachsenen etwas emanzipiert hatten[35]. Drittens kamen sie mit der strengen Vorratshaltung nicht zurecht und vergriffen sich zum Teil an den Nahrungsrationen anderer Familienmitglieder[36].
Erziehung
Hinsichtlich ihres Erziehungsstils zeigten die Eltern wenig Neigung, sich kindesgerecht oder gar kindeszentriert zu verhalten[37]. Obgleich die Kinder am Alltag der Erwachsenen teilnahmen, stellten sie für die Eltern eher zusätzliche Partner im Überlebenskampf dar, als dass sie besondere Aufmerksamkeit als kleine Kinder erhielten[38]. So fand ein gemeinsames Spielen mit den Eltern beinahe nie statt[39].
Doch wenn die Eltern ihre Kinder erziehen wollten, so waren Ohrfeigen oder Schläge mit einem Teppichklopfer auf den Hintern als Mittel der Erziehung weit verbreitet[40].
Sexualität und Nazizeit hingegen stellten absolute Tabus dar[41], während Arbeit und Spielen nicht eindeutig von einander getrennt wurden[42]. So arbeiteten Kinder nicht aus pädagogischen Gründen, sondern weil ihr Beitrag einfach unabdingbar für das Überleben der gesamtem Familie bzw. der zusammen wohnenden Gemeinschaft war[43].
Quellenverzeichnis
- Gehlotomholt, Eva; Hering, Sabine, Das verwahrloste Mädchen – Diagnostik und Fürsorge in der Jugendhilfe zwischen Kriegsende und Reform (1945-1965), Opladen, 2006
- Meyer, Sibylle; Schulze, Eva: Von Liebe sprach damals keiner – Familienalltag aus der Nachkriegszeit, München, 1985
- Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“ und die „Konsumkinder“: Kindheitsverläufe zweier Generationen, in: Ulf Preuss-Lausitz u.a. [Hg], Kriegskinder – Konsumkinder – Krisenkinder – Zur Sozialisationsgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg, Vierte Auflage, Reihe Pädagogik, Beelitz, 1995
[1] Einleitung, in: Preuss-Lausitz u.a. [Hg], Kriegskinder, S.21
[2] Einleitung, in: Preuss-Lausitz u.a. [Hg], Kriegskinder, S.21
[3] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“ S.35
[4] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“ S.35
[5] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.35
[6] Einleitung, in: Preuss-Lausitz u.a. [Hg], Kriegskinder, S. 21
[7] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“ S.34
[8] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“ S.21
[9] Meyer, Von Liebe,S.98
[10] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.33
[11] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.33
[12] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.32 + Meyer, Von Liebe, S.49
[13] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.32
[14] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.93
[15] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.93
[16] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.93
[17] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.32
[18] Meyer, Von Liebe, S.56
[19] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.32
[20] Meyer, Von Liebe, S.100
[21] Gehlotomholt, Das verwahrloste Mädchen, S.47
[22] Gehlotomholt, Das verwahrloste Mädchen, S.47
[23] Meyer, Von Liebe, S.39
[24] Gehlotomholt, Das verwahrloste Mädchen, S.47
[25] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.30
[26] Gehlotomholt, Das verwahrloste Mädchen, S.47
[27] Gehlotomholt, Das verwahrloste Mädchen, S.47
[28] Gehlotomholt, Das verwahrloste Mädchen, S.47
[29] Gehlotomholt, Das verwahrloste Mädchen, S.47
[30] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.32
[31] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.32
[32] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.32
[33] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.32 und Gehlotomholt, Das verwahrloste Mädchen, S.47
[34] Meyer, Von Liebe, S.49
[35] Gehlotomholt, Das verwahrloste Mädchen, S.47
[36] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.32
[37] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.35
[38] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.35
[39] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.35
[40] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.35 und S.36
[41] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.35
[42] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.35
[43] Schulz, Yvonne; Geulen, Dieter: Die „Nachkriegskinder“, S.34
Schreibe einen Kommentar